von Werner Michl
Teil 1
Sesam öffne dich!
Muggendorf, Fränkische Schweiz, in der Nähe der Doktorshöhle. Etwa 300 Meter vor der Doktorshöhle halte ich an und gebe meinen Studierenden Bescheid, dass ich ganz und gar vergessen habe, wo sich der Eingang der Doktorshöhle befindet. Sie sollen jetzt ausschwärmen und nach ihr suchen. Dabei, so füge ich an, könnte man auch Strategien anwenden, Kleingruppen bilden, Zeitstrukturen ebenso vereinbaren wie notwendige Maßnahmen zur Verständigung. Nach etwa einer halben Stunde wird die Höhle entdeckt. Eine Höhle zu finden ist ein besonderes Geheimnis, das man in manchen Fällen nur mit den Höhlengefährten teilt. Mit meinem Freund Andreas Bedacht war ich auf der Suche nach dem Eingang der Frickenhöhle; er liegt ausgesetzt in einem grasigen Westhang, der steil in eine Felswand abstürzt. Andreas war schon mal da, hatte vergeblich einen Tag nach dem Eingang gesucht und gar nicht mehr geglaubt, dass sich der Eingang in der Nähe dieses Grashangs befinde, und zwischendurch kamen ihm wohl Zweifel, ob nicht die ganze Frickenhöhle ein Fiktion sei. Wir hatten an diesem Tag sehr schnell Erfolg und konnten, da der Wasserstand sehr niedrig war, weit in das Höhlensystem vordringen.
Max Frisch beschreibt in seinem Roman „Stiller“ (1975, 158f) eine solche fieberhafte Suche nach einem Höhleneingang: „Natürlich ritt ich schon im Morgengrauen (in einem großen Bogen, damit man mir nicht auf die Spur kam) wieder zu meiner Grotte, ausgerüstet mit einer Laterne, um in ihre Finsternis eindringen zu können, und war auf allerlei gefaßt, bloß nicht darauf, daß ich meine Grotte nicht wiederfinden würde. Bereits war es Nachmittag, als ich immer noch hügelauf und hügelab stapfte, vielleicht ganz in der Nähe der Pforte, vielleicht eine Meile daneben, denn allenthalben sah man die gleichen Hügel und Mulden, die gleichen Disteln, Kakteen, Agaven, dazwischen die verfluchten Stauden der Gifteiche. Erschöpft und entmutigt, ohne die Grotte gefunden zu haben, ritt ich zurück, überzeugter denn je, daß diese Grotte einen märchenhaften Schatz verbarg, Gold vielleicht, von Spaniern erbeutet und verloren; waren nicht hier jene Abenteurer vorbeigezogen, Vasquez Coronado und Cabeza de Vaca? Das mindeste, was ich erwarten durfte, waren historische Werte, aber vielleicht auch Edelsteine der Indianer, der ganze Schatz eines ausgestorbenen Stammes. Auch bei klarer Vernunft schien allerlei möglich. Natürlich grinste mein Freund, wie ich mich am Abend in meine Hängematte sinken ließ, über meine große Mattigkeit, auch über mein Schweigen. Wie heißt sie denn? fragte er, und ich sagte: Hazel! und drehte mich auf die andere Seite.
So vergingen Wochen.
Meine Grotte drüben in den Felsen begann nachgerade ein Spuk zu werden, in Wirklichkeit nicht wiederzufinden, obschon ich noch mehrere Male in jene Gegend ritt, jedesmal ausgerüstet mit Laterne und Lasso, eine Tasche voll Karbid, die andere Tasche voll Verpflegung, und im Grunde glaubte ich schon gar nicht mehr an meine Entdeckung, als ich eines Abends, es dämmerte schon und war höchste Zeit, zurückzureiten, eine Wolke von Fledermäusen sah. Es war, als stiegen sie aus dem Boden, Millionen von Fledermäusen. Sie kamen aus meiner Grotte!“
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von Werner Michl
Teil 1
Sesam öffne dich!
Muggendorf, Fränkische Schweiz, in der Nähe der Doktorshöhle. Etwa 300 Meter vor der Doktorshöhle halte ich an und gebe meinen Studierenden Bescheid, dass ich ganz und gar vergessen habe, wo sich der Eingang der Doktorshöhle befindet. Sie sollen jetzt ausschwärmen und nach ihr suchen. Dabei, so füge ich an, könnte man auch Strategien anwenden, Kleingruppen bilden, Zeitstrukturen ebenso vereinbaren wie notwendige Maßnahmen zur Verständigung. Nach etwa einer halben Stunde wird die Höhle entdeckt. Eine Höhle zu finden ist ein besonderes Geheimnis, das man in manchen Fällen nur mit den Höhlengefährten teilt. Mit meinem Freund Andreas Bedacht war ich auf der Suche nach dem Eingang der Frickenhöhle; er liegt ausgesetzt in einem grasigen Westhang, der steil in eine Felswand abstürzt. Andreas war schon mal da, hatte vergeblich einen Tag nach dem Eingang gesucht und gar nicht mehr geglaubt, dass sich der Eingang in der Nähe dieses Grashangs befinde, und zwischendurch kamen ihm wohl Zweifel, ob nicht die ganze Frickenhöhle ein Fiktion sei. Wir hatten an diesem Tag sehr schnell Erfolg und konnten, da der Wasserstand sehr niedrig war, weit in das Höhlensystem vordringen.
Max Frisch beschreibt in seinem Roman „Stiller“ (1975, 158f) eine solche fieberhafte Suche nach einem Höhleneingang: „Natürlich ritt ich schon im Morgengrauen (in einem großen Bogen, damit man mir nicht auf die Spur kam) wieder zu meiner Grotte, ausgerüstet mit einer Laterne, um in ihre Finsternis eindringen zu können, und war auf allerlei gefaßt, bloß nicht darauf, daß ich meine Grotte nicht wiederfinden würde. Bereits war es Nachmittag, als ich immer noch hügelauf und hügelab stapfte, vielleicht ganz in der Nähe der Pforte, vielleicht eine Meile daneben, denn allenthalben sah man die gleichen Hügel und Mulden, die gleichen Disteln, Kakteen, Agaven, dazwischen die verfluchten Stauden der Gifteiche. Erschöpft und entmutigt, ohne die Grotte gefunden zu haben, ritt ich zurück, überzeugter denn je, daß diese Grotte einen märchenhaften Schatz verbarg, Gold vielleicht, von Spaniern erbeutet und verloren; waren nicht hier jene Abenteurer vorbeigezogen, Vasquez Coronado und Cabeza de Vaca? Das mindeste, was ich erwarten durfte, waren historische Werte, aber vielleicht auch Edelsteine der Indianer, der ganze Schatz eines ausgestorbenen Stammes. Auch bei klarer Vernunft schien allerlei möglich. Natürlich grinste mein Freund, wie ich mich am Abend in meine Hängematte sinken ließ, über meine große Mattigkeit, auch über mein Schweigen. Wie heißt sie denn? fragte er, und ich sagte: Hazel! und drehte mich auf die andere Seite.
So vergingen Wochen.
Meine Grotte drüben in den Felsen begann nachgerade ein Spuk zu werden, in Wirklichkeit nicht wiederzufinden, obschon ich noch mehrere Male in jene Gegend ritt, jedesmal ausgerüstet mit Laterne und Lasso, eine Tasche voll Karbid, die andere Tasche voll Verpflegung, und im Grunde glaubte ich schon gar nicht mehr an meine Entdeckung, als ich eines Abends, es dämmerte schon und war höchste Zeit, zurückzureiten, eine Wolke von Fledermäusen sah. Es war, als stiegen sie aus dem Boden, Millionen von Fledermäusen. Sie kamen aus meiner Grotte!“